Dilma besetzt Präsidialamt neu: Kabinettschefin Gleisi Hoffmann
Präsidentin Dilma Rousseff hat die erste Krise ihrer noch kurzen Ära mit einem Befreiungsschlag gelöst. Ihr bisheriger Kabinettschef Antonio Palocci musste nach einem mutmaßlichen Korruptionsskandal zurücktreten, ihn löst überraschend die bisherige Senatorin Gleisi Hoffmann ab. Die 45 Jahre alte Juristin aus Curitiba, frühere Sozialbeauftragte und Finanzdirektorin des Binationalen Kraftwerks Itaipu, ist damit faktisch die Nummer zwei im politischen Kräftespiel Brasilias.
Das Schicksal des Präsidialamtes unter der PT
In den vergangenen acht Jahren schien das Präsidialamt verflucht zu sein. Drei Minister sind in einem Meer von Anklagen untergegangen. Dilma war die einzige erfolgreiche Ministerin des Präsidialamtes oder Kabinettschefin. Das Amt hat eine Schlüsselposition in der Struktur der Regierung. Die Nähe des Amtsinhabers zum Präsidenten macht aus ihm eine Art Superminister. Die Stelle wird oft mit dem Premierminister in parlamentarischen Systemen verglichen. Die Amerikaner vergleichen es mit ihrem Chef des Stabes, der für die Überwachung der Tätigkeiten der Regierung und die Leistung der anderen Kollegen zuständig ist. In acht Jahren und fünf Monaten der PT-Regierung hat das Präsidialamt in Brasilia vier Minister und einen einstweiligen Amtsinhaber verbraucht.
Beginnend mit José Dirceu, dem langjährigen PT-Vorsitzenden und Wahlkampfmanager
Lulas: Er übernahm das Präsidialamt am 1. Januar 2003 und stürzte über
Stimmenkauf im Parlament, der Monatszuwendung, «mensalão» genannt, am
16. Juni 2005.
Fünf Tage nach dem Rücktritt von Dirceu übernahm Rousseff
die Leitung des Ministeriums. Präsident Lula war von ihrem technischen
Können als Ministerin für Bergbau und Energie beeindruckt. Aber auch hier
wurde ein Versuch gestartet, sie zu stürzen. Im Jahr 2008 warf man ihr
vor, ein Dossier über die persönlichen Ausgaben des ehemaligen Präsidenten
Fernando Henrique Cardoso und seiner Gattin Ruth Cardoso angelegt zu haben.
Dilma gab die Schaffung einer Datenbank über FHC zu, bestritt jedoch die
Schaffung eines eigenen Dossiers. Sie konnte sich im Amt halten und übernahm
das Kommando des «Programms zur Wachstumsbeschleunigung» (PAC), einer der
großen Leistungen der Ära Lula. Beeindruckt von ihrer Wirksamkeit, wählte
Präsident Lula sie zur Kandidatin für seine Nachfolge.
Da Dilma Rousseff vor Beginn ihrer Wahl-Kampagne ihr Ministeramt aufgeben musste, übernahm die Exekutivsekretärin Erenice Guerra ihren Platz. Diese blieb nur etwas mehr als fünf Monaten im Amt und musste dann wegen Korruptionsvorwürfen gegen ihren Sohn resignieren, das tat sie in einem Brief an Präsident Lula, der - vorsichtig geworden - den Abteilungsleiter Carlos Eduardo Esteves Lima bis zum Ende seiner Regierung zum vorläufigen Minister ernannte. Heute ist Carlos Eduardo Sonderberater des Präsidialamtes.
Neuestes Opfer des Fluches, der über dem Präsidialamt schwebt, ist jetzt Antonio Palocci, der am 2. Januar 2011 das Amt des Kabinettschefs antrat. Doch nach Berichten in der Tageszeitung Folha de São Paulo über seine Consulting-Geschäfte konnte auch die Freundschaft mit Lula ihn nicht in seinem Amt halten. Ich habe nicht bestochen, ich habe keinen Einfluss auf öffentliche Einrichtungen für private Unternehmen ausgeübt, schwor Palocci. Doch sein Fall ließ die bisherige Akzeptanz der Regierung Dilma durch die Wähler von 73% auf schwache 23% sinken. Palocci verließ das Präsidialamt nach einer eindruckvollen Rede am 8. Juni, fünf Monate und vier Tage nach der Amtsübernahme.
Unter dem vormaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva war der nun geschasste Palocci zwischen 2003 und 2006 Wirtschaftsminister gewesen, er galt als einer der Architekten des ökonomischen Aufstiegs im Land. Schon damals wurde er allerdings wegen einer Affäre ausgewechselt. Nun wird ihm vorgeworfen, er habe sein Vermögen in den vergangenen vier Jahren verzwanzigfacht. Palocci, der außerdem die Koalitionen der Regierungspartei PT im Parlament pflegte, stand dennoch bis zuletzt Lula nahe.
Die neue Stabschefin Gleisi Hoffmann, die aus einer deutschstämmigen Familie aus Südbrasilien stammt, ihre Jugend in Curitiba verbracht hat und einmal sogar an einen Ordenseintritt gedacht hatte, ist erst kürzlich in den Senat gewählt worden. Sie ist allerdings allein Dilma Rousseffs Wahl. Analysten glauben, die Präsidentin wolle mit ihr auch Unabhängigkeit gegenüber dem immer noch einflussreichen Vorgänger Lula zeigen. Sie sei traurig wegen Palocci, sagte Rousseff. Aber sie sei auch glücklich, eine rasche Nachfolge gefunden zu haben.
SZ/IstoÉ/IfB/10.06.2011