Wertvolle Armut
Franziskaner erfüllen das Ideal der Armut und des Gehorsams in der Mitte von Luxus und Prunk in einer der reichsten Kirchen Brasiliens
Carina Rabelo, Salvador (BA)
Vergoldet, die Kirche des Hl. Franziskus von Assisi, in Salvador, Bahia, ist eines der kunstvollsten und von vergoldeten Skulpturen erfüllten Gebäude des Landes.(vgl.Bildanhang 1). Im letzten Jahr trat es zu den sieben Wundern portugiesischen Ursprungs in der Welt und stand im Wettstreit um die sieben Wunder von Brasilien. Sie ist eine der beliebtesten Touristikattraktionen in Salvador. Sie erzeugt bewundernde Seufzer der Besucher, wenn sie als architektonisches Werk beurteilt wird, und Zweifel vom religiösen Standpunkt aus betrachtet. Die immer wiederkehrende Frage ist: Wie kann ein solches kostbares und aufwendiges Werk Franz von Assisi gewidmet sein, dem Heiligen materieller Bedürfnislosigkeit? Der Überschwang hat historische Gründe, erläutert Pater Hugo Fragoso, Mitglied des Franziskanerordens in Bahia. "Wir sind Opfer des „Goldenen Zeitalters“ Brasiliens geworden als das in Minas Gerais geschürfte Gold über Salvador da Bahia, der damaligen Hauptstadt Brasiliens, und später dann über Rio de Janeiro in das Mutterland Portugal verschifft wurde", erklärt er als angesehener Ordenshistoriker, der zu diesem Bereich schon viele wissenschaftliche Beiträge veröffentlicht hat.

Neben diesem Bereich von Reichtum und Fülle, durch dünne Wände getrennt, leben bescheiden 49 Ordensleute das Gelübde der Armut. In diesem Gebäudekomplex der Franziskaner besteht ein scharfer Kontrast zwischen der Kirche und dem Kapitelsaal, dem Publikum zugänglich, und dem Bereich innerhalb des Klosters, wo die Zellen der Brüder durch extreme Einfachheit geprägt sind. (vgl. Bildanhang 2) Die Kirche São Francisco ist geprägt von vergoldeten Säulen und Wänden, die  mit 70 tausend Paketen Goldstaub eingefasst sind, 87 Statuen von Heiligen, sowie Geräte und Kelche aus Gold und Silber, Edelsteine und Marmor, sowie Möbel aus Jacarandá-Holz und anderen Edelhölzern. Die Roben, Gewänder der Heiligen und Vorhänge sind aus edlen Stoffen wie Seide, Satin, Batist, Spitze und Samt, mit Fransen und Bändern geschmückt. Den Hoch-Altar schmückt ein reich verzierter Tabernakel. Hinter den vergoldeten Mauern, verläuft das einfache Ordenleben der Franziskaner, die sich in der Pastoral außerhalb der Mauern des prunkvollen Kirchenbaus engagieren. "Das persönliche Leben der Ordensmänner war schon immer von Armut geprägt", sagte Pater Hugo. Das Mobiliar der 70 Zellen besteht aus einem Bett, einem Schrank und einem Schreibtisch. Jeden Tag stehen die Brüder um 6 Uhr auf, nehmen um 7 Uhr am Gemeinschaftsgebet teil und widmen sich dann dem Studium oder der pastoralen Arbeit. Um 18 Uhr werden dann die anderen Gemeinschaftsgebete verrichtet und um 19 Uhr werden die Nachrichten im Fernsehen angeschaut. Einige der Mitbrüder widmen sich der Pflege der alten und kranken Ordensleute.
Am Dienstag wird Brot an die Bedürftigen verteilt, das so genannte Antonius-Brot. "Wir bieten auch Hilfe bei familiären Streitigkeiten an", sagt Frei Marcelo Freitas, 29 Jahre. Viele sind in den Pfarreien tätig, andere machen regelmäßige Besuche bei den Häftlingen in den Gefängnissen, wieder andere wirken in der franziskanischen Mission in abgelegenen Gebieten des Amazonas bei indigenen Völkern.

Der architektonische Überschwang des ganzen franziskanischen Gebäudekomplexes wurde nach Werten gestaltet, die weit entfernt von der Nächstenliebe waren. Der Reichtum der Kirche kam im achtzehnten Jahrhundert, als in Brasilien, entsprechend den Vorschriften des Konzils von Trient, Ende des sechzehnten Jahrhunderts, die örtliche Gesellschaft verpflichtet wurde, für Kirchen und kirchliche Gebäude aufzukommen. "Es wurde festgeschrieben, dass die Bevölkerung mehr an den Dingen der Kirche beteiligt werden sollte", sagt die Historikerin Maria Helena Flexor Ochi, Autorin von "Kirche und Kloster São Francisco da Bahia", Gewinnerin des Clarival-Prado-Valladares-Preises, der von der Bau-Firma Odebrecht gestiftet wurde zur Förderung der Forschung an bisher unveröffentlichten Projekten des historisch-kulturellen Brasiliens. In dieser Epoche gab es die Bruderschaften, die sich aus Laien mit wirtschaftlichem und sozialen Prestige zusammensetzten. Durch große Spenden suchten die wohlhabenden Familien ihren Platz im Himmel zu sichern und vor allem ein Grab in der Kirche zu reservieren - je höher der Betrag, desto näher an den Altar – gleichzeitig hatten sie Anspruch auf eine jährliche Messe zu Ehren der Seele der Verstorbenen. Nur die Vornehmen konnten an den Feierlichkeiten in der Kirche teilnehmen. Die Armen mussten stehen und blieben draußen. Diese Prahlerei wirft seit dem achtzehnten Jahrhundert Kontroversen auf. Als damals italienische Kapuziner Brasilien besuchten, waren sie über den Reichtum der Kirche empört und erstellten ein Dokument, in dem sie mit Bedauern über die Tatsache berichten, dass die brasilianischen Franziskaner Missbrauch mit den Almosen betrieben und kostspielige Werke bauten. In den 90ziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, als deutsche Franziskaner aus der Sächsischen Franziskanerprovinz eingeladen worden waren bei der Restaurierung des Klosters zu helfen, gab es die gleiche Überraschung. Sie erstellten deshalb ein Dokument, in dem festgeschrieben wurde, dass in den Kirchen nur der Tabernakel und die heiligen Gefäße vergoldet sein durften. Die Bestimmung kam nicht zur Anwendung. "Neue Vorschriften erklären dann, dass Gold das Beste sei, was wir haben, und das solle Gott dargebracht werden", erläutert Pater Hugo. Trotz der äußeren Pracht, leben die Ordensleute des Klosters von São Francisco weit ab vom Überfluss. Die Kirche erlitt mehrere Diebstähle und nicht wenige von den seltenen Stücken wurden gestohlen. Einige Besucher haben versucht, einige der Säulen abzubrechen, weil sie vermuteten, sie seien aus massivem Gold, oder kratzten die Farbe von den Wänden ab, um daraus Goldstaub zu gewinnen. Mit dem Rückgang der Spenden und der Krise der Ordensberufe ist der Unterhalt der Gebäude und die Versorgung der teilweise kranken Mitbrüder nicht ganz leicht. Allerdings leben in diesem Konvent 49 Ordensleute, davon 15 Studenten, die selbstverständlich versorgt und deren Studium bezahlt werden muss, erklärt Pater Alfons Schomaker, Guardian des Klosters. – Hier leisten die Touristen dann auch ihren Beitrag.

Eines der Projekte, um Geld für den Unterhalt zu sammeln, ist ein Museum, das Möbel und Reliquien des Konventes und der Kirche enthält, und die Öffnung von einigen Bereichen der Klausur des Klosters für Unterkunft und Besichtigung. "Heute ist aus unserer gesellschaftlichen, sozialen Sicht eine  üppige Franziskanerkirche ein Widerspruch", sagt Professor João Batista Libânio, von der Jesuiten-Hochschule für Philosophie und Theologie. Er weist jedoch darauf hin, dass die Schönheit der Gebäude die Menschen der Religion  näher bringen kann. "Auch die Armen wollen eine Kirche, die schön und reich geschmückt ist ", sagte er. Nach Pater Hugo, ist jede katholische Reform ein Versuch, das Leben des Franz von Assisi in seiner Authentizität zu retten. "Die Spannung ist über die Jahrhunderte hinweg konstant, weil die Armut nicht mathematisch gemessen werden kann, sondern durch den Geist, die Spiritualität", sagt er. Im Gegensatz zu den Franziskanern des Goldes, sind Franziskaner heute engagiert, das Wesentliche des Poverello, des Armen von Assisi zu bewahren, sein Engagement für die Armen, für die aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen.  IstoÉ/IfB/27/01/2010