Gabriele Althoff 

Bildung und Hochschulen 

Der Schwerpunkt der brasilianischen Bildungspolitik lag im Jahr 2004 auf den Hochschulen. 

Angesichts einer Einschulungsrate von 97,2 Prozent, einer durchschnittlichen Schulverweildauer von 6,4 Jahren und einem leichten Rückgang der Analphabetenquote auf 10,6 Prozent konzentriert die Regierung Lula ihre Bemühungen jetzt darauf, den Zugang von ärmeren Jugendlichen und solchen aus ethnischen Minderheiten zu den tertiären Bildungsinstitutionen zu erleichtern. 

Zwei Projekte sorgten im Jahr 2004 für Schlagzeilen und für eine breite und kontroverse öffentliche Diskussion: der Gesetzvorentwurf für eine umfassende Universitätsreform und das Projekt “Universität für alle" ProUni, mit dem private Hochschulen verpflichtet werden, eine Quote von Studienplätzen für Abgänger öffentlicher Schulen zu reservieren. 

Es sei in Erinnerung gerufen, dass das brasilianische Bildungssystem dadurch gekennzeichnet ist, dass die Qualität der kostenlosen öffentlichen Sekundarschulen im Durchschnitt erheblich schlechter ist als die der privaten Schulen. Demgegenüber zeichnen sich viele der kostenlosen öffentlichen Hochschulen durch ein höheres Maß an Qualität aus; sie schneiden in den Evaluierungen des Erziehungsministeriums sehr viel besser ab als der Großteil der Privatuniversitäten. Die Abgänger öffentlicher Schulen haben daher Schwierigkeiten, sich bei den strengen Hochschuleingangsprüfungen (vestibular) der öffentlichen Hochschulen durchzusetzen. So ergibt sich die paradoxe Situation, dass Kinder besser gestellter Familien private Schulen (mit horrenden Schulgebühren) besuchen, um ihre Chancen zu verbessern, einen der begehrten gebührenfreien Studienplätze an öffentlichen, insbesondere an Bundesuniversitäten, zu erringen. Demgegenüber bleibt den Kindern sozial schwacher Familien, die die kostenlosen öffentlichen Schulen besucht haben, häufig nur der Zugang zu teuren und nicht immer guten Privatuniversitäten, wenn sie ihren Bildungsweg fortsetzen wollen. 

Daher bilden Maßnahmen, die die privaten Hochschulen betreffen, einen Schwerpunkt der Bildungsinitiativen der Regierung Lula. 

Bildungsdaten 

Um diese Vorhaben einordnen zu können, soll eine kurze Analyse von Bildungsdaten vorausgeschickt werden: 

Im Jahr 2004 gab es in Brasilien 1.859 Hochschuleinrichtungen, davon sind 163 Volluniversitäten, die restlichen haben den Status universitärer Zentren oder von Fakultäten. 

Nur 207 (11,1 Prozent) dieser Institutionen höherer Bildung haben öffentliche Träger, 1.652 (88,9 Prozent) befinden sich in privater Trägerschaft. Während die Zahl der öffentlichen Hochschulen zwischen 1997 und 2003 leicht zurückging (von 211 auf 207), wuchs im selben Zeitraum die Zahl privater Einrichtungen um ca. 240 Prozent (von 689 auf 1.652). Wurden im Jahr 2003 in ganz Brasilien nur 12 neue öffentliche Hochschulen gegründet, so waren es 222 neue Privathochschulen. In den letzten fünf Jahren haben die Privathochschulen die Zahl ihrer Studienplätze um 439 Prozent erhöht und damit sogar ein Überangebot an Studienplätzen produziert. Für die- 1,88 Millionen Schulabgänger standen im Jahr 2003 zwei Millionen Studienplätze für Studienanfänger zur Verfügung. Die Privathochschulen leisten also in quantitativer Hinsicht einen ständig steigenden Beitrag zum Bildungsangebot im tertiären Sektor. Von insgesamt 3,89 Millionen Vollzeitstudierenden im grundständigen Studium sind 2,75 Millionen an privaten und nur 1,14 Millionen an öffentlichen Universitäten eingeschrieben. 

Eine Aufschlüsselung nach Regionen zeigt, dass die Entwicklungsregionen Brasiliens (Norden, Nordosten und Zentralwesten) für private Bildungsinvestitionen offenbar weniger attraktiv sind. Demgegenüber steht in quantitativer Hinsicht das Angebot von Studienplätzen an öffentlichen Hochschulen proportional nicht hinter dem in entwickelten Regionen zurück. 

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