Michael Fritsche 




BILDUNGSPOLITIK IN BRASILIEN – DER ERSTE SCHRITT IST GETAN 

Die Regierung Lula trat im Januar 2003 mit großen Versprechungen zu grundlegenden Reformen im Bildungsbereich an. Die Erwartungen an den ersten Bildungsminister Cristovam Buarque waren groß. Als Professor und ehemaliger Rektor der Universität von Brasilia, war er von 1995 bis 1998 Gouverneur des Bundesdistriktes und hatte in dieser Funktion das Schulstipendienprogramm “Bolsa Escola” eingeführt. 

Um so mehr enttäuschte die Programmlosigkeit während seiner Amtszeit, wegen der er schließlich der Kabinettsumbildung im Februar 2004 zum Opfer fiel. Seitdem hat der ehemalige Bürgermeister von Porto Alegre und bis dahin außerordentliche Staatssekretär beim Entwicklungsrat für Wirtschaft und Soziales Tarso Genro im Bildungsministerium das Ruder in der Hand und versucht mit zum Teil alten und zum Teil neuen Instrumenten im Bereich Bildungsförderung, -finanzierung, Lehrerausbildung und Schutz von sozial Benachteiligten, den Zugang zu Bildung und deren Qualität zu verbessern. 

Den Zugang zu Bildung verbessert, ... 

Von 1991 bis 2002 ist die Analphabetenrate in Brasilien von 20,1% auf 11,8% gesunken. In absoluten Zahlen bedeutete dies ein Rückgang von 29,4 Mio. um 41,1% auf 17,3 Mio. Analphabeten. Die Zahl der Brasilianer im Alter von 10 Jahren oder älter, die nicht oder weniger als ein Jahr zur Schule gegangen sind, sank im selben Zeitraum von 20,6 Mio. um 19,4% auf etwa 16,6 Mio. Auf der anderen Seite nimmt der Anteil der Höherqualifizierten zu. Während die Bedeutung der bis heute stärksten Gruppe der Brasilianer mit einer Schulbildung von vier bis sieben Jahren langsam abnimmt (1991: 33,9%; 2002: 32,3%), steigt die Rate derer mit einer Ausbildung von elf Jahren und mehr stetig an (1991: 5,5%; 2002: 23,4%). 

Der Zugang zu Bildung verbessert sich also kontinuierlich und die Bevölkerung im schulfähigen Alter verbleibt tendenziell länger im Schulsystem. Ein Erfolg auf ganzer Linie also, oder? 

...aber die Qualität verschlechtert 

Die Zahlen täuschen. Im Jahr 2002 wiederholten 20,0% der Grundschüler (1.-8. Schuljahr) das zuvor durchlaufene Schuljahr. Dieser Anteil entspricht etwa 7 Mio. Schülern. In der Mittelschule (9.-11. Schuljahr) mussten im selben Jahr 20,2% oder ca. 1,7 Mio. der Schüler das Schuljahr wiederholen. Somit ist die Aussagekraft des Zugangs zu Bildung sowie der Verweildauer im Schulsystem als Indikatoren nicht besonders groß. 

Erfüllung der Fernziele der Bildungspolitik 

Wie steht es mit den längerfristigen Zielen von Bildungpolitik? Eine bessere Bildungssituation soll mehr Humankapital schaffen, das seinerseits zu einem höheren Pro-Kopf-Einkommen beiträgt. Gerade bei der Existenz eines großen Nachholbedarfs im Bereich Alphabetisierung und Grundbildung erwartet die moderne Wachstumstheorie in diesem Bereich einen erheblichen Beitrag zum Wirtschaftswachstum. 






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