Jens Giersdorf
Nachhaltigkeit des Bioethanols in Brasilien
Ethanol als Biotreibstoff in Brasilien im Lichte der
internationalen Diskussion
über Nachhaltigkeit
1. Einleitung
Die Substitution fossiler Treibstoffe (Benzin, Diesel) durch Biotreibstoffe
wird international seit geraumer Zeit diskutiert, um einerseits die Abhängigkeit
von teuren Rohölimporten und andererseits den Ausstoß klimaschädlicher
Treibhausgase im Straßenverkehr zu verringern (vgl. Goldemberg 2004: 5).
Ethanol, das auf der Grundlage verschiedener zucker- oder stärkehaltiger
Feldfrüchte (Zuckerrohr, Zuckerrüben, Weizen, Kartoffeln) hergestellt werden
kann, stellt einen solchen Biotreibstoff dar, der zudem weltweit in recht
großen Mengen produziert wird (vgl. Schmitz 2003: 120).
Brasilien ist seit
Ende der 90er Jahre für über ein Drittel der weltweiten Produktion von
Ethanol verantwortlich und verfügt über reichlich Erfahrung mit diesem
Biotreibstoff. Die Produktion von Ethanol aus Zuckerrohr wurde in Brasilien
nach der 1. Ölkrise ab 1975 in großem Umfang gefördert und Anfang der 80er
Jahre nicht nur in Brasilien, sondern auch international als erfolgreicher
Weg hin zu einer erdölunabhängigen automobilen Entwicklung betrachtet.
Neben
den vermeintlichen positiven ökologischen Auswirkungen des Ethanols dürfen
jedoch andere möglicherweise negative Konsequenzen auf die Wirtschaft
oder die Gesellschaft nicht außer Acht gelassen werden. Das brasilianische
Ethanol muss also auf seine Nachhaltigkeit überprüft werden.
2. Evaluierungskonzept: Nachhaltigkeit
Bei der Evaluierung des brasilianischen Ethanols ist zu berücksichtigen, dass sich grob zwei Interpretationen von Nachhaltigkeit unterscheiden lassen. Vertreter einer schwachen ökologischen Nachhaltigkeit gehen davon aus, dass ökonomisches Wachstum grundsätzlich keine Grenzen kenne, da alle Kapitalien bis auf bestimmte lebenserhaltende Formen von Naturkapital wie saubere Luft - substituierbar seien (Weltbank 2002: 15).
Anhänger dieser Interpretation halten denn auch Effizienz- oder Substitutionsstrategien als ausreichend, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Das zentrale Ziel bei der Effizienzstrategie besteht darin, dauerhaft eine Steigerung der Energie- und Ressourcenproduktivität zu erreichen, die über der des Wirtschaftswachstums liegt, so dass der absolute Ressourcenverbrauch zurückgeht (z.B. ökologische Modernisierung vorhandener Produkte wie die Entwicklung emissionsarmer Kraftfahrzeuge). Wenn diese Strategie an ihre technischen Grenzen stößt, kann auf die Substitutionsstrategie, bei der die Substitution nicht nachhaltiger Produkte durch nachhaltige Produkte, die die gleichen Konsummuster ermöglichen, im Mittelpunkt steht, zurückgegriffen werden.
Politiker und Wissenschaftler, die der Umweltbewegung zuzuordnen sind, fordern eine grundsätzliche Abkehr vom alten Wachstumsmodell und eine ökologische Umorientierung. Diese Vorstellung von Nachhaltigkeit wird auch als starke ökologische Nachhaltigkeit bezeichnet (Weltbank 2002: 17). Sie mündet in der Forderung nach einer Anwendung der Suffizienzstrategie, die eine grundsätzliche Änderung der Lebensstile der Menschen vor allem in den Industrieländern verlangt. Ziel soll dabei eine Entkopplung der Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von der materiellen Güterproduktion sein (Dematerialisierung der Wirtschaft). Dies kann durch die kollektive Nutzung langlebiger Produkte (z.B. car-sharing) oder durch die Veränderung von Strukturen (Zusammenführung von Arbeiten und Wohnen) erreicht werden (Rogall 2003: 93).
Die Produktion von Ethanol in Brasilien stellt eine Substitutionsstrategie dar, d.h. sie muss daran gemessen werden, ob es gelingt, die begrenzte Ressource Automobiltreibstoff effektiv zu substituieren und dabei ökonomischen, sozialen und ökologischen Kriterien zu genügen.
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