Globale  Expansionspläne gedämpft Selbstversorgung mit Erdgas als neues Ziel  

Euphorie 

“Als Petrobrás gegründet wurde, war die Abhängigkeit von Außen so gut wie absolut. Wir selbst produzierten 2700 Barrel pro Tag, die Nachfrage lag bei 172.000 Barrel. Heute befinden wir uns in der besten wirtschaftlichen Lage seit 20 Jahren. Petrobrás hat maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen”, sagte der inzwischen wiedergewählte Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in Rio am Tag des “neuen Unabhängigkeitsfestes” dem 21. April 2006, da die Petrobrás seine Autarkie in der Erdölversorgung bekanntgab. 

Konflikt mit Bolivien 

Am 1. Mai 2006 als Evo Morales die Nationalisierung des Erdgases in Bolivien ankündigte, wurde die Euphorie allerdings gedämpft. “Die Lieferung von 24 bis 30 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag ist bis 2019 vertraglich abgesichert. Für uns ändert sich nichts”, sagte damals Ildo Sauer, Energie- und Gasdirektor bei Petrobrás.   

Dennoch folgten Brasiliens Regierung und Öffentlichkeit wurden von der Nationalisierung in Bolivien überrascht. Zwar waren die Wahlkampfversprechen des Bolivianers auch in Brasilía zur Kenntnis genommen worden, doch bei verschiedenen Begegnungen mit Morales nach seiner Wahl hatten die Vertreter der brasilianischen Regierung die Zuversicht gewonnen und auch geäußert, dass Morales sein Vorgehen mit seinem Nachbarn und wichtigsten Kunden absprechen und es einen Verhandlungsprozess geben könnte, bei dem Brasilien zwar einen etwas höheren Gaspreis zahlen würde, aber die Operationsfähigkeit von Petrobras mehr oder weniger stabil bliebe. Nur eine Woche vor Verkündung seines Dekretes hatte Morales während einer Tagung der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) in Belo Horizonte ausgeführt, seine Land verfüge gar nicht über die technischen Kapazitäten für eine rasche Nationalisierung. 

Um so überraschter war man in Brasilia über das Vorgehen des Bolivianers. Die symbolische Besetzung der Einrichtungen von Petrobras durch bolivianische Militärs ist von vielen Brasilianern als erniedrigend empfunden worden. 

Vor allem aber ist deutlich geworden, dass die brasilianische Regierung nur einen begrenzten Einfluss auf den ihr ideologisch „verwandten“ bolivianischen Präsidenten auszuüben vermag und dass ihr regionaler Führungsanspruch von den Nachbarn nicht akzeptiert wird. Im Gegenteil ist im Kontext der bolivianischen Nationalisierung ein anderer lateinamerikanischer Führer in Brasilien stärker ins Blickfeld und auch in die Kritik geraten: der venezolanische Präsident Hugo Chavez. 

Für Brasilien und Petrobrás steht einiges auf dem Spiel. In den vergangenen zehn Jahren investierte Petrobrás 1,5 Milliarden US-Dollar in Bolivien. Brasilien importiert 26 Millionen Kubikmeter Erdgas am Tag und deckt damit die Hälfte seines Bedarfs. Ende Oktober haben Petrobrás und die anderen in Bolivien tätigen Energieunternehmen die neuen Verträge der Regierung unterschrieben. Bis zu 82 Prozent Abgaben müssen sie nun an Bolivien zahlen. Dennoch bleibt das Geschäft für sie rentabel. 

Derzeit werden rund 26 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag aus Bolivien bezogen. Die Bundesstaaten Mato Grosso do Sul, Mato Grosso, Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul hängen zu 100 Prozent von den bolivianischen Lieferungen ab. Der Staat São Paulo ist zu 91 Prozent abhängig. Das Erdgas wird vor allem in der Industrie, der thermischen Stromerzeugung und als Automobilkraftstoff eingesetzt.... 


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