Evelyn Hartoch 




UNWIRTLICHES SãO PAULO 

São Paulo, “Krise und Veränderung”  

Das Wachstum in lediglich einem Jahrhundert sowohl der eigentlichen Stadt-Region als auch des Ballungsraumes São Paulo, zu dem 38 eigenständige Städte oder Munizipien gehören, ist beeindruckend und erschreckend zugleich. 

Über die  Einwohnerzahlen gibt es teilweise widersprüchliche Angaben. Zum anderen ist es teilweise verwirrend, dass es eine Stadt (Munizip), einen Ballungsraum(Metropolregion/Área Metropolitana) und einen Bundesstaat “São Paulo” gibt, und dieses “São Paulo” in verschiedenen Quellen unterschiedlich definiert wird. 

Im Zentrum wächst die Stadt São Paulo seit den 50er Jahren vertikal in die Höhe und die Quadratmeterpreise für Bauland gehören zu den höchsten der Welt. 

Das Stadtgebilde weitete sich mit dem Anschwellen des landesinternen Migrantenzustromes flächenmäßig rasend schnell aus, indem der grüne Gürtel (ehemals land- und forstwirtschaftliche Flächen) zum größten Teil auf außer-legale Weise parzelliert und bebaut wurde (ungebremste Bodenspekulation). Die Stadt wurde zerstückelt. Es gibt zwar mehrere Unterzentren, aber kein gewachsenes Stadtbild. São Paulo ist vielmehr eine vielfach mit Spekulationsbrachen durchzogene Mega-Agglomeration (Konurbation) . Die städtische Infrastruktur und die Verdichtung folgten nur langsam der schnellen horizontalen Ausdehnung; im Verlaufe der Zeit wurde auch in der Peripherie zunehmend in die Höhe gebaut. Dieser Vertikalisierungsprozess ist derzeit voll im Gange. 

Bei illegalen Umnutzungen und Verkäufen von städtischem Grund und Boden, verhielten sich insbesondere während der Zeit der Militärdiktatur die Behörden passiv: Lief einerseits die Reorganisation des staatlichen Überbaus seit 1964 (mit Beginn der Militärdiktatur) darauf hinaus, der Logik privater Akkumulation ungehindert zum Durchbruch zu verhelfen (also auch die räumliche Entwicklung und die Wohnungsfrage der Logik privater Bereicherung zu überlassen), so wanderte ein beträchtlicher Teil der Gelder in Form von Schmiergeldern in die Taschen städtischer Bediensteter. Andererseits waren für die Mehrheit der lohnabhängigen Bevölkerung de facto keine rechtlich abgesicherten und erschwinglichen Angebote zur Lösung der Wohnungsfrage vorhanden.  “Lebensweltliche Regulationsmechanismen” und Bodenspekulationsmechanismen “wucherten” São Paulo groß, unter Umgehung vorhandener gesetzlicher Regelungen und  Flächennutzungsvorgaben. 

H. Harms und P. Pfeiffer führen aus, dass bereits das Halten des heute völlig unzureichenden Versorgungsstandards mit Infrastruktur und Wohnraum der beiden größten lateinamerikanischen Ballungszentren, São Paulo und Mexiko-Stadt so gewaltige Investitionen erfordern würde, dass die beiden hoch verschuldeten Entwicklungsländer Brasilien und Mexiko kaum in der Lage sein dürften, die notwendigen Mittel aufzubringen. Nach Auffassung der Autoren hat 

“eine derart große Zusammenballung von Menschen und Wirtschaftsaktivitäten (...) längst die funktionalen Vorteile einer optimalen Konzentration von öffentlichen Investitionen verloren und beginnt bereits dysfunktional zu werden. Die Entfernungen werden so groß, dass der Zeit- und Kostenaufwand allein für den Transport unökonomisch wird, insbesondere, wenn keine adäquaten Transportsysteme zur Verfügung stehen.”  

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