Vorwort
Eine Weltstadt wie São Paulo, die in diesem Jahr ihr 450. Gründungsjubiläum begeht, darf unsere Zeitschrift nicht mit Schweigen übergehen. Leider können trotz aller Fortschrittgläubigkeit - wofür São Paulo mit dem Selbstverständnis als "Lokomotive" Brasiliens schon immer ein Symbol war -  die gravierenden Probleme dieser "Megalopolis" nicht übersehen werden. Gerade Frau Vaderli Custódio sieht als anerkannte Stadtgeographin der Universität São Paulo  in dieser Stadt einerseits das beste Beispiel für den Urbanisierungsrhythmus in Brasilien, andererseits aber auch eine fragmentierte Metropole, die durch extreme Ungleichheiten geprägt ist, letztlich eine "Stadt in Scherben". Auch die Stadtplanerin Evelyn Hartoch erfährt São Paulo zunächst als "unwirtliche Stadt", in der der Wohnungsbau besondere Probleme schafft, zur Bildung von überbelegten Wohnungen, den so genannten "cortiços" führt und die arme Bevölkerung zu illegalen Besetzungen zwingt. Andererseits sieht sie gerade in der bis vor kurzem von der Arbeiterpartei PT regierten Stadt emanzipatorische Prozesse in einem "selbstverwalteten kollektiven Eigenbau, wo basisbewegte Planerinnen und Planer sogar auf siedlungsinternen Freiflächen des sozialen Wohnungsbaus gemeinschaftliche Nutzgärten" einplanen. 

Die drei Federzeichnungen von Jan Eckschmidt sind dem heute kaum noch zugänglichen Buch von D.Michalany entnommen, das zum 400jährigen Gedächtnis São Paulos unter dem Titel erschienen ist "São Paulo no limiar do seu quinto século". Auch in diesen fast idyllischen, schon historischen Zeichnungen zeigt sich der rasante Wandel dieser schnelllebigen Stadt. 

Die Thematik São Paulo gibt der Redaktion Gelegenheit einen Beitrag von Friedrich E. Blanke zu veröffentlichen, der die Arbeiten von drei deutschen Architekten in São Paulo unter dem Titel "Die Neue Moderne in São Paulo"historisch näher beleuchtet. Ein Interview mit dem Architekten und Mitbegründer des IAB in São Paulo Paulo Mendes da Rocha ergänzt und ordnet den Beitrag ein in das Gesamt der brasilianischen Moderne. 

Die diesjährigen Kommunalwahlen finden eine kompetente Analyse und Interpretation in den ausführlichen Beiträgen von Wilhelm Hofmeister, dem Leiter des Studienzentrums der Konrad Adenauer-Stiftung in Rio de Janeiro. Ergänzt wird die Darstellung durch eine kritische Analyse der Wahlergebnisse aus der Sicht der Sozialen Bewegungen. Der Autor, Franciscode Aquino, steht diesen Bewegungen besonders nahe und artikuliert hier auch sein Unbehagen an der Politik der Regierung Lula. 

In diesem Zusammenhang ist auch die detaillierte Dokumentation über die aktuelle Indianerpolitik der Regierung Lula zu sehen. Anstelle einer Unterstützung der Belange indianischer Völker erfahren diese eine immer stärkere sozio-kulturelle Einschränkung und  erneute territoriale Begrenzung. Allerdings wird in dieser Dokumentation auch ihr erstarkendes Selbstbewusstsein und ihr dezidierter Widerstand deutlich. 


Die Schriftleitung 

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