Berichte/Analysen
Wahljahr 2006
Präsidentschafts- und Gouverneurswahlen
I. Früher Wahlkampfbeginn
Wahlstrategien der Opposition - Rückzugsgefechte der Regierungsparteien
1. Strategien
Da bis Mitte 2005 die Wiederwahl Lulas fast unvermeidlich schien, suchte die Opposition nach einer tragfähigen Strategie, mit der vor allem die PSDB die PT-Regierung in die Defensive treiben und den Wahlkampf 2006 mit Aussicht auf Erfolg führen könnte. Schon sehr früh war das ursprüngliche Konzept gescheitert auf die vermeintliche Inkompetenz der linken Abenteurer im Bereich der Wirtschaftspolitik zu setzen. Die Regierung Lula stellte jedoch unter Beweis, dass sie die Instrumente der makro-ökonomischen Stabilitätspolitik nicht nur handwerklich besser, sondern vor allem erfolgreicher einzusetzen wusste als die vorige, von der PSDB geführte Regierung. Folglich konzentrierte die Opposition schon seit 2004 ihre Kritik auf die unzureichenden Ergebnisse der Regierungspolitik im sozialpolitischen Bereich. Dies stieß jedoch auf die wachsenden Irritationen der eigenen Klientel, die Armutsbekämpfung jenseits von populistischem Assistentialismus für Verschwendung hält und beim Stichwort Einkommensumverteilung auf die Barrikaden ihres Besitzstandes steigt, um ihn mit allen Mitteln zu verteidigen.
Schließlich setzte die PSDB auf einen sogenannten Charakterwahlkampf. Die
für den Angriff auf Ansehen und Glaubwürdigkeit des Präsidenten erforderliche
Munition bekam die Opposition dann alsbald frei Haus geliefert. Im Mai
2005 berichteten die Medien von der Aufdeckung eines Geldbeschaffungssystems,
das vom Vorsitzenden der zur Regierungskoalition zählenden
PTB, Roberto
Jefferson, gesteuert wurde: Der PTB angehörende Funktionsträger in der
Post und der Rückversicherungsgesellschaft (beide staatlich) verlangten
von Unternehmen, die sich um Aufträge dieser Institutionen bewarben, die
Zahlung von Spenden, die vornehmlich zur Finanzierung der PTB, teilweise
zur persönlichen Bereicherung verwandt wurden. Die Opposition verlangte
die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, den Regierung
und PT-Führung zunächst zu verhindern suchten. Angesichts der Kritik in
den eigenen Reihen und des Drucks der öffentlichen Meinung vollzogen beide
schließlich eine Kehrtwende und forderten die rückhaltlose Aufklärung der
Vorwürfe. Jefferson trat daraufhin die Flucht nach vorn an und verkündete
Anfang Juni, die PT betreibe ein weitaus umfassenderes System der Geldbeschaffung,
das zudem der Beeinflussung des Abstimmungsverhaltens von Abgeordneten
durch monatliche Zahlungen "mensalão" genannt - diene. Die daraufhin
einsetzende Enthüllung des Skandals von den Medien mit einer Mischung
aus erwiesenen Fakten, plausiblen Vermutungen, konstruierten Halbwahrheiten
und dreisten Lügen garniert stürzte zunächst die PT, dann die Regierung
und schließlich das gesamte politische System in eine tiefe Krise.
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