Wirtschaftsarchiv des Instituts für Brasilienkunde
Wirtschaftliche Entwicklungen in der Ersten Regierung Präsident Lulas 2003-2006
Einleitung:
1. Vorzeigbare Ergebnisse
Nach 4 Jahren der Regierung Lula sind die teilweise überzogenen Hoffnungen
der sozial Unterprivilegierten einer gewissen Ernüchterung gewichen, doch
unzufrieden ist das Volk mit Lula nicht. Die meisten Armen sind zwar immer
noch arm, doch Beschäftigung und Löhne steigen allmählich. Zudem hat Lula
die Sozialhilfe ausgeweitet, in diesem Wahljahr 2006 ganz besonders. Allein
im Nordosten, dem Armenhaus Brasiliens, leben 22 Millionen Menschen von
monatlichen Familienzuwendungen. Kritiker bemängeln zwar, das ändere nichts
an der strukturellen Armut und zementiere bloß die Abhängigkeiten von den
Politikern. Doch die Bezieher dieser Hilfen im Wert von bescheidenen 25
Euro pro Monat können sich den Luxus langfristiger Erwägungen nicht erlauben
und sind froh über die kleinen Verbraucher-Chancen. Die Nachfrage der Verbraucher
wurde 2006 zusätzlich durch das seit April 2006 von 300 auf 350 R$ deutlich
erhöhte Mindesteinkommen angetrieben.
Die ehemaligen Bedenkenträger in
der Wirtschaft sind gegen Ende der Regierungsperiode Lulas zumindest beruhigt,
wenn nicht gar begeistert über Lulas bisherigen Wirtschaftskurs. Die Banken
fahren Rekordgewinne ein, die Börsenkurse in São Paulo haben sich in den
Lula-Jahren vervierfacht. Brasiliens Staatsschulden gegenüber dem Ausland
sind heute niedriger als die Devisenreserven. Der glückliche Umstand einer
extrem guten Weltkonjunktur hat Lula sehr geholfen. Die starke Nachfrage
aus China, Indien und anderen Wachstumsmärkten nach brasilianischen Rohstoffen
wie Soja und Eisenerz hat dem Land einen bisher nie gekannten Exportboom
verschafft. Entgegen vielen Befürchtungen vor einem möglichen Chaos in
den Staatsfinanzen setzte Lula in Haushalts- und Geldpolitik strikt auf
Stabilität. Mit einer rigorosen Hochzinspolitik hat die Zentralbank die
Inflation unter 4 Prozent gedrückt, die Landeswährung Real hat ihren Wert
gegenüber dem Dollar nahezu verdoppelt. Die Renditen brasilianischer Staatsanleihen,
die in den Turbulenzen von 2002 zeitweise auf 30 Prozent hochgeschnellt
waren, liegen heute nur noch zwei Prozentpunkte über der Verzinsung von
sicheren Anlagen in den Vereinigten Staaten. Das Risiko von Finanzanlagen
in Brasilien wird Ende 2006 damit so niedrig eingeschätzt wie selten zuvor.
2. Grundsätzliche Entscheidungen beim Amtsantritt im Jahre 2003
Die Regierung Lula entschied sich zur Überraschung des linken Parteiflügels
der Arbeiterparte PT - die makro-ökonomische Stabilitätspolitik der vorhergehenden
Regierung unter Cardoso fortzusetzen:
- Noch vor der Amtsübernahme wurde
die Absicht bekannt gegeben, Henrique de Campos Meirelles ehemaliger
Direktor der US-amerikanischen Bank Boston International und im Jahre 2002
gewählter PSDB-Abgeordneter in Brasilia zum neuen Präsidenten der Zentralbank
zu berufen.
- Das Ministerium für Entwicklung, Industrie und Außenhandel wurde mit dem parteilosen Unternehmer Luiz Fernando Furlan besetzt, der aus der Führungsetage des größten Nahrungsmittelkonzerns Brasiliens Sadia S.A. stammt und jahrelang Direktor des Industrieverbandes von São Paulo (FIESP), sowie Mitglied des Wirtschaftsforums Mercosul-Europa. (MEBF) und anderer exportorientierter Gremien war.
- Zum Finanzminister wurde der pragmatische, dialogfähige Antonio Carlos Palocci, Arzt und früherer Präfekt von Ribeirão Preto, ernannt, während der zum linken Flügel der Partei zählende Konkurrent und bisherige Wahl-Berater Lulas in Wirtschaftsfragen Guido Mantega, Soziologe und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Getúlio-Vargas-Stiftung, damals mit dem für die operative Politik weniger bedeutenden Planungs- und Haushaltsministerium abgefunden wurde.